Ich versuche es in chronologischer Reihenfolge zu erzählen, damit wir möglichst rasch zur Gegenwart kommen und ich euch in meinem Blog auf dem Laufenden halten kann.
Nach der Erkenntnis und dem klugen Rat von Henriette arbeiteten Stella und ich wie die Wahnsinnigen an dem Schmuck. Wir durchsuchten alle Schmucktruhen und stiegen in ziemlich dunkle Keller hinunter. Das, was man in einem Keller einer Burg findet, ist nicht nur schön. Ich will nicht mehr ins Detail gehen.
Henriette und meine Mutter waren eine riesige Hilfe. Sie fanden die besten Stücke und sie wussten noch so tolle Geschichten dazu zu erzählen. Stella und ich schrieben wie die Wilden mit. Bis wir auf die Idee kamen, einfach alles auf den Smartphones aufzunehmen.
Doch neben dem grossen Wissen über Schmuck und Geschichte stellte sich Henriette als Schmuckstück der absoluten Luxusklasse heraus. Sie erklärte Stella und mir, worin die Geheimnisse einer ausgeglichenen Schmuckgarderobe bestehen. Ich bin ja keine Anfängerin und ich würde sagen, ich bin ziemlich stilvoll. Doch Henriette ist einfach sagenhaft stilsicher.
Sie hat mir zum Beispiel erklärt, warum bei ihr der Schmuck nie überladen wirkt. Und dies, obwohl gut 90 Prozent des Schmucks Modeschmuck ist... Doch auch zu ganz vielen anderen Dingen hat sie mir phantastische Ratschläge gegeben. Ich hatte dutzende „Aha-so-geht-das“-Erlebnisse.
Stella und ich haben alles aufgenommen und uns viele Notizen gemacht.
Und dann, vor 10 Tagen, sind alle ausser mir abgereist oder nach Hause gefahren und ich bin seitdem alleine. Meine Homepage steht und sie ist schon online. Wir hatten die Page in einem Rekordtempo aufgebaut. Sie ist zwar noch etwas einfach, doch das Wichtigste ist da: der Schmuck. Mann, was haben wir nach Schmuck gesucht und dann noch nach guten Kombinationen. Doch wir bekamen etwas hin und dann, eben vor zehn Tagen, war es online. Ich musste nur noch eine Bestellung abwarten.
Ich war sicher, die Schmuckburg würde sich selber retten.
Doch es kam nicht ganz so, wie ich es mir erhofft hatte.
Vor neun Tagen tauchten die Erzfeinde auf.
Es scheint, als würden die von Diskrups nichts anderes tun, als auf meinen Auszug zu warten, um ihr doofes Recht auszuüben. Ich telefonierte echt viel und war ständig daran, die Seite neu zu laden, doch es half nichts. Es verging ein Tag und ich war alleine und ich hatte nichts verkauft.
Obwohl sehr wenige Leute in den ersten Tagen auf meine Homepage kamen, hatten die von Diskrups sie gefunden. In nur einem Tag! Plötzlich tauchten Sebastian und Cosimo hier auf. Mit einem neuen Auto und einer Tusnelda, die ein Massband um den Hals trug. Wie lächerlich. Dazu trug sie Schuhe, die nur etwas aussagten: Wir sind nicht zum Gehen gemacht und unsere Trägerin hat es nicht nötig, zu gehen. Doch ganz handwerklich begabt, trägt sie ein Massband um den Hals. Um was zu messen? Ihr Taille oder ihre Intelligenz?
Sie wurde als Vintage-Designexpertin vorgestellt. Wozu sie ein Massband um den Hals trug und so tat, als wäre es ein Stethoskop, blieb unklar.
Jedenfalls kamen sie, mit zwei Autos, die sie quer in die Einfahrt stellten. Die Tusnelda fuhr bei Sebastian mit. Sein Auto sah so neu aus, dass ich am liebsten nachgeschaut hätte, ob noch Plastikabdeckungen auf den Ringen des Signets seien. Doch gute Autos haben kein Plastik. Meines hat fast nur Plastik. Es ist ja auch ein Smart.
Der Wagen war so eine Art Limousine und alle Fenster waren dunkel. Sehr edel.
„Was wollt ihr?“, fragte ich nach dem unnötigen Vorstellen der Massband-Tussi.
„Wir sind hier, um dir zu sagen, dass unsere Anwälte an der Sache arbeiten. Du hast keine Chance. Du wirst damit nicht durchkommen. In 90 Tagen gehört uns dieser Schuppen und dann machen wir den heissesten VIP-Club daraus, den es nördlich von St. Tropez gibt.
„Du meinst nordöstlich“, sagte ich trocken. Ich konnte ihn nicht ausstehen. Er war widerlich. Seine Haare waren zurückgeschleimt, sein Jacket betont sportlich. Das gestreifte Hemd trug er ganz zufällig mit edlen Manschettenknöpfen und die Jeans waren vom Herrenschneider. Ich erkenne solche Dinge. Das schlimmste waren die rahmengenähten Schuhe. Eine Art „Pseudo-Sneakers“. Sie sollten zwar sportlich und leger aussehen, doch gleichzeitig kommunizieren, dass man kein Plastikschuhträger war.
Sebastian von Diskrup. Investmentbanker bei der von Diskrup Privatbank. Mitglied des Verwaltungsrates. Unternehmer. Junger Visionär und moderner Adliger, wie er sich selber gerne nannte. Understatement mit Stil, wie er dann noch hinzufügte. Stella und ich nannten ihn seit jeher Arsch mit Ohren und kürzten es mit AmOh ab, damit wir die Beschimpfung auch im Alltag nutzen konnten. Wir sind keine laut fluchende Familie. Wir sind immerhin adlig.
Die Tusnelda wollte in die Burg und etwas messen. Ich stellte mich ihr in den Weg.
„Das ist immer noch meine Burg. Wenn Sie nicht sofort verschwinden, hole ich die Polizei“, sagte ich trocken. „Oder ich gebe dir einen Stoss und lass dich rückwärts gegen das Auto von AmOh knallen, dann kann er dich am Massband hochziehen“, fügte ich in Gedanken dazu.
„Komm, Joelina, in ein paar Wochen gehört uns der Schuppen und dann werfen wir sie raus“, sagte Cosimo, der nicht aus seinem Auto ausgestiegen war. Cosimo hatte als Kind noch ein oder zwei lichte Momente gehabt und Stella und ich haben fast daran geglaubt, dass er weniger schlimm als die anderen von Diskrups sein könnte. Wir hatten uns geirrt. Er war genau so schlimm. Er war Unternehmensberater. Bei der von Diskrup Consulting. Auch er war Mitglied von allem, was wichtig ist, und ich musste immer an Trüffelsuppe denken, wenn ich ihn sah. Er versuchte gar nicht erst so zu tun, als würde er versuchen, bewusstes Understatement zu betreiben. Nein, er klotzte. Teure Uhr, teurer Anzug, teure Sonnenbrille. Alles teuer, teuer, teuer. Alles edel.
Er war weniger schleimig, dafür wirkte er windiger als sein Bruder. Seine Flammen wechselten im Monatstakt. Immer wieder ein anderes Sternchen, das sich ihm an den Hals warf. Er war öfters in Klatschheftchen als die meisten C-Promis, weil er etwas hatte, was denen fehlte. Geld, Ausdauer, Kontakte und noch mehr Geld. Er war immer irgendwo eingeladen und er benahm sich, als sei er die Reinkarnation von Casanova.
Stella und ich nannten ihn Kotzio. Als Stella noch ganz klein war, sie ist ja meine kleine Schwester, und gerade erst richtig sprechen gelernt hatte, konnte sie den Namen Cosimo nicht behalten. Ich sagte ihr in einem Anflug von schwesterlicher Hilfsbereitschaft: „Das ist ganz leicht. Es tönt wie Kotz ins Klo. Und das konnte sie sich merken. Und so hiess er Kotzio und meine Mutter bekam fast einen Anfall, als sie das erste Mal auf Cosimo zeigte und ihn Kotzio nannte. Ich wollte damals helfen und habe sofort erklärt, was es mit der Eselsbrücke auf sich hatte. Ich erinnere mich nur noch an einen globalen Hustenanfall und die Geschichte wurde immer wieder gerne hervorgeholt.
Sebastian und die Tusnelda stiegen ein und fuhren weg.
Cosimo musste noch ein wenig mit dem Motor des Autos spielen. Seines hatte als Logo eine Krone. Was sonst.
Ich ging zurück in das grosse Esszimmer. Dort stand alles bereit. Schmuck, Laptop, Verpackungssachen.
Dann tat ich etwas, das ich sonst nicht tue, wenn ich alleine bin. Ich ging an die Bar, die in einem sehr schönen grossen, kobalt-blauen Globus untergebracht ist, und nahm mir wahllos etwas zu trinken heraus. Ich schenkte ein und trank.
Vor Schock krachte ich fast gegen eine Kommode. Das war eine dumme Idee gewesen. Mir wurde augenblicklich übel und ich musste mich auf den Boden legen.
Ich schloss die Augen und sah Leute in zu kurzen T-Shirts auf unserer Burg rumhüpfen und Sangria trinken. Es war schlimm.
Erst nach einer Weile schaffte ich es, mir Wasser einzuschenken und mich zu setzen. Dann dachte ich nach.
Er hatte nicht unrecht. Es war knapp. Ich musste mehr Geld verdienen. Ich musste erstmal überhaupt etwas verdienen.
Das hatte mir die Anwältin nämlich auch gesagt. Ich musste von der Burg leben. Richtig leben. Nicht nur so ein bisschen Schmuck verkaufen. Sondern davon ein Einkommen sichern. Sonst würden die anderen behaupten, ich würde das nur rechtsverzögernd oder so machen und dann käme eine Klage oder etwas anderes und am Schluss würde man mich hier an den Stiefeln oder Haaren rauszerren. Je nachdem, welchen Teil sie von mir zu fassen bekämen.
Das hatte die Anwältin so zwar nicht gesagt, aber so würde es kommen. Cosimo und Sebastian würden nichts lieber tun, als Stella und mich persönlich aus der Burg zu vertreiben.
Oh, was für ein fürchterlicher Tag das war und ich bekam Kopfschmerzen. Keiner kaufte etwas.
Ich legte mich auf ein Sofa und rief Henriette an. Sie reagierte ganz anders, als ich erwartet hatte. Sie schimpfte mit mir. Sie sagte nichts über Cosimo oder Sebastian, sie schimpfte mich aus. Ich kam mir vor, als wäre ich zehn Jahre alt.
„Ich bin enttäuscht von dir, Vena. Du benimmst dich wie ein von Diskrup der ersten Generation. Rumnörgeln und alles auf die anderen schieben.“
Ich musste leer schlucken. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich konnte doch nichts dafür, dass der Verkauf nicht anlief.
„Wenn unsere Vorfahren so gedacht hätten, würden wir keine Burg, sondern einen Schuppen haben, den wir retten müssten“, fügte sie hinzu.
Ok, ich hatte verstanden. Sie war nicht zufrieden mit mir. Aber was sollte ich tun?
„Du bist jung, überlege dir, wie man das mit dem Verkauf im Internet machen kann“, sagte sie.
Jugend. Der Schlüssel zu allem. Wenn es doch nur so wäre.
„Was soll ich tun?“, frage ich
„Frag Stella. Denkt nach. Ihr seid jung und klug und voller Talente. Du kamst auf die Idee mit „Kotz ins Klo“ und da warst du erst fünf! Du sitzt auf einer Burg und erlebst die unglaublichsten Dinge. Hör auf dich zu beschweren und zeig, dass du eine Lady bist.“
Dann hängte sie den Hörer auf. Ich hörte noch, wie ihre Armreifen gegeneinander schlugen. Es folgte Stille.
Sie hatte recht.
Ich schrieb Stella eine SMS. Eine halbe Stunde später stellte sie ihre Vespa ab und brachte eine grosse Einkaufstüte mit ungesundem Essen mit hoch.
Ich erzählte ihr alles. Sie war besonders an den Schuhen der Massband-Tussi interessiert und tatsächlich fand sie im Internet die gleichen Schuhe, wie die Tussi angehabt hatte, nur aufgrund meiner Beschreibung. Wir waren kurz stolz auf uns. Schwestern mit Stil und Google. Was sollte uns stoppen. Doch die Tatsache war, dass wir mit gefühlten drei Tonnen Schmuck im Esszimmer sassen und auf eine Bestellung warteten.
Stella fing an, den Schmuck selber anzuziehen. Sie machte Selfies und postete sie gleich auf der Homepage. Eine gute Idee. Sie twitterte etwas. Sie eröffnete in Windeseile eine Pinterestseite. Sie ist genial. Meine kleine Schwester.
Sie kam in einen Rausch. Ich wusste, man durfte sie jetzt nicht unterbrechen. Sie warf sich von einem Spiegel zum nächsten. Sie fotografierte wie eine Furie und ich hatte etwas Angst um ihr Smartphone. Wie viele Bilder kann so ein Teil hochladen?
„Wir brauchen einen Slogan“, sagte sie plötzlich und machte ein Bild von ihrem Bauch mit Kette. Stella kann sich das leisten. Sie ist überfit. Ob Henriette dieser Art von Werbung zustimmen würde?
„Slogan ist gut. Welchen?“, fragte ich, auch um mich abzulenken.
Stella legte ihre Stirn in Falten. Sie sah aus wie ein Mops mit Kopfschmuck. Ein süsser Mops. „LINK SHOP“
Ich wollte es ihr sagen. Sie war schneller.
„Jedes Stück erzählt eine Geschichte“
Das ist ein guter Slogan. Aber stimmt er auch? Muss ein Slogan nicht auch wahr sein?
„Welche Geschichte?“, fragte ich.
„Unsere Geschichte. Die Geschichte, wie das Teil in die Burg kam. Die Geschichte von der diebischen Herzogin und all die Halbmärchen, die wir seit unserer Kindheit hören“, sagt Stella. „Denk doch mal nach. Alleine die Geschichten, die uns Henriette und Mami in den letzten Wochen zum Schmuck erzählt haben! Das füllt Bücher.“ Sie sass mit einer Selbstverständlichkeit auf der Kommode, die sogar mir imponierte.
„Stella, komm da lieber runter.“ Oh man, was bin ich reif und erwachsen.
Stella machte wieder dieses Babymopsgesicht und sprang runter.
Wir assen ziemlich viel von den ungesunden Dingen und surften im Internet rum. Stella sah ihre Lieblingsblogs durch und sagte beiläufig: „Du brauchst auch einen Blog. Diese Burg gibt genug Storystoff für eine ganze Net-Novela her.“ Sie sah ganz unschuldig von ihrem beklebten Laptop hoch. Das war eine wirklich clevere Idee. Das war sogar noch besser, als einfach zu all dem Schmuck die ganzen Geschichten zu erzählen. Doch dann dachte ich nach.
Ich als Schloss-Schnulzen-Autorin. Ich schüttelte mich wie ein nasser Hund. Wie sollte ich das über mich bringen? Ich habe doch eine Würde. Ich bin Lady Vena Tyler-Fort. Ich bin nicht Celestine Herzschmerz (oder so. Der Name ist erfunden. Falls jemand wirklich so heisst: sorry!)
Doch dann sagte ich mir: warum nicht? Ich musste ja keine Schloss-Romanze schreiben. Ich musste nur von meinem Leben erzählen. Auf der Burg. Mit dem Schmuck und den Problemen. Und von allem gab es mehr als genug. Zudem würde es sich doch wunderbar in meinen Lebenslauf einfügen. Ich war die letzten sechs Monate Assistentin einer Fernsehjournalistin gewesen. Ich konnte schnell tippen und gut beobachten. Alles andere würde ich lernen.
Und so fing ich an, alles aufzuschreiben und ich werde das weiter tun, bis die Geschichte fertig ist. Also hoffentlich noch sehr lange.
Stella wies mich noch auf einen anderen Punkt hin. Die von Diskrups würden ja alles mitlesen. Doch da ich weiss, dass sie dies tun, habe ich mich bei meiner Anwältin informiert und sie umgetauft. Sie heissen nicht von Diskrup und ich darf nichts schreiben, dass ich nicht beweisen kann. Nun, ich kann viel beweisen, denn ich habe alte „Hassbriefe“ von euch, AmOh und Kotzio. Es war nicht so klug, mir und meiner Schwester bei jeder sich bietenden Gelegenheit Gemeinheiten auf Einladungen, Karten, Tischkärtchen und so weiter zu schreiben. Wir haben es nämlich aufbewahrt und in eine Schatzkiste gesteckt.
Und falls ich doch zu weit gehen sollte: verklagt mich doch. Ich bin ohnehin zu arm, um euch etwas zu geben und ihr liebt die Aufmerksamkeit der Medien. Es wird auch nicht nur um die von Diskrups gehen. Hauptsächlich will ich Euch aus dem Burgalltag und aus den Geheimnissen der Schatzkammer meiner Tante Henriette berichten. Ich glaube, das wird Euch am meisten interessieren. Falls ihr Fragen habt, könnt Ihr mir ja Kommentare in den Blog schreiben. Oder Mails. Oder twittern.
Und ein bisschen werde ich auch lästern. Versprochen. Aber ganz ladylike.