MEIN SCHÖNSTES WEIHNACHTSERLEBNIS
von
Vena Tyler-Fort
Weihnachtsgeschichten sind in der Regel süss, kurz und es kommen folgende Charaktere darin vor (in unterschiedliche Konstellationen):
ein Kind mit Mütze und Handschuhen, meist arm, aber immer süss;
ein Welpe oder ein Rentier, meist verlassen, verloren oder zumindest missverstanden;
ein böser Erwachsener, meist ein Banker, Industrieller oder Politiker;
ein noch böserer Erwachsener;
eine nette Frau, meist sehr schön und arm oder zumindest missverstanden;
eine Familie mit Problemen;
eine Familie mit Tannenbaum;
ein Kaufhaus oder ein Markt;
ein mutiges Kind und dann wahlweise:
ein Stern,
ein Pony,
ein Weihnachtsengel,
ein Rentierschlitten,
ein Weihnachtsmann oder: alles zusammen.
Und dann natürlich noch: Geschenke und Essen.
Das also zur klassischen Weihnachtsgeschichte. Meine ist anders. Sie hat sich wirklich zugetragen und ich bin dem Schicksal unendlich dankbar, dass ich eine eigene Weihnachtsgeschichte erzählen kann und weiss, ja: Es gibt Weihnachtswunder.
Vor 3 Jahren hatten die beiden jungen von Diskrups eine amerikanische Phase. Das zeigte sich an ihren Autos, Kleidern und Freundinnen. Sie waren damals zwar noch mitten in ihren Eliteausbildungen, doch sie benahmen sich schon so, als seien sie die Herren der Welt. Das hing sicher damit zusammen, dass ihnen aus irgendwelchen Fonds viel Geld ausbezahlt worden war. Jedenfalls hatte einer dieser Fonds eine Bedingung und die lautete: „…dem gemeinen Volke etwas zukommen lassen und diesem Volke eine Freunde machen, die nicht finanzieller Natur ist.“ Ihr seht: Jeder der von Diskrups war und ist ein Arsch. Sorry. Ein Wort, das nicht in eine Weihnachtsgeschichte gehört, doch wie soll man so eine Bedingung sonst interpretieren? Warum schenken sie nicht einfach etwas? Und oh, das war Wasser auf die Mühlen der schwellenden von Diskrup Egos.
Die beiden liessen Designer und Architekten kommen. Sie planten, verwarfen und rauchten dabei viel, tranken und benutzten Firmenhelikopter für super urgent meetings. Alles sehr, sehr übertrieben. Ich erkläre später woher ich das alles so genau weiss.
Jedenfalls, die von Diskrups fanden die perfekte „Performance for the Poor“. So nannten sie das Ganze. Im Vergleich zu einem von Diskrup sind 99,9% der Leute arm. Egal. Die Performance bestand in einem riesigen Tannenbaum, der so etwas von beleuchtet und überladen hätte werden sollen, dass sogar eine Bewilligung von der NASA hätte eingeholt werden müssen, wären die von Diskrups nicht so gute Buddies mit denen von der Luftfahrtbehörde. Das jedenfalls erzählte der Schleimkopf Sebastian dem harrenden Volke. Er stand auf einem Podest, hinter ihm ein riesiger, dunkler Weihnachtsbaum. Vor ihm eine Eisfläche. Ja, die von Diskrups hatten sich inspirieren lassen, und das nicht schlecht.
Beide von Diskrups trugen sau teure Cashmeremäntel in hellen Erdtönen, sie trugen dunkle Lederhandschuhe und sie hatten einen Schal um den Hals hängen. Der von Sebastian war rot-grün gemustert und auch dem sah man an, dass dafür das flauschigste aller Ziegenbabys hatte seine Wolle hergeben müssen. Der Schal von Cosimo war auffallend unauffällig kariert. Oh, würg.
Weltmännisch standen sie also da. Sebastian auf dem Podest, Cosimo daneben. Die „Performance for the Poor“ umfasste auch ein Schlittschuhmusical mit Elfen und Trollen und einer Eisprinzessin. Das wollte ich eigentlich unbedingt sehen, denn ich mag Eislaufen und ich mag Shows. Meinen Zeilen entnehmt ihr, dass ich dort war. Ja, ich gebe es zu. Stella und ich waren dort. Mit Kaffeebechern, die nicht nur Kaffee enthielten, standen wir in der Masse und wartete auf das Wunder von Diskrup.
Und dann ging alles ganz schnell.
Die von Diskrups hielten sich an den Händen und rissen diese hoch, als hätten sie die Präsidenschaftswahl gewonnen. In diesem Moment drückte die Prinzessin auf einen grossen, roten Knopf, der zu Füssen der von Diskrups platziert war.
Es wurde hell. Sehr hell. Und alle wichen zurück. Irgendwo knallte etwas und eine kleine Flamme kam aus einem Gerät an der Seite der Eisbahn. Die von Diskrups standen immer noch mit erhobenen Armen da. Dann blitzte es und der Baum war aus. Doch damit nicht genug. Die von Diskrups schrieen die Techniker an. „Switch on the fucking emergency lights“, die dann tatsächlich auf Notbeleuchtung umstiegen. Ja, der Baum hatte eine Notbeleuchtung. Und ja, die Techniker waren aus den USA importiert worden. Sie hätten sich vielleicht hier mit jemanden absprechen sollen, doch das war ja nicht unser Problem. Jedenfalls folgte dann ein „The Show must go on“ aus dem Munde einer der von Diskrups und mit Musik fingen die Elfen an zu performen. Es war sehr süss. Die Kinder in den Elfenkostümen waren einfach genial. Stella kämpfte sich nach vorne, um eines davon zu fotografieren. Das war sehr clever. Denn so sah sie, wie eine kleine Elfe sich bei einem Sprung verschätzte und ziemlich weit vorne landete. Sie knallte voll in Sebastian von Diskrup, der unter der Elfe zu Boden ging, weil sie ihn mit ihrem Schlittschuh mitten in den Cashmeremantel getroffen hatte. Zum Glück war dem Kind nichts passiert und es stand gleich auf und tanzte weiter. Von Diskrup fluchte sehr laut und sehr unweihnachtlich und in diesem Moment fing der Chor (ja, einen Chor hatten sie auch) an Jingle Bells zu singen. Cosimo beugte sich über seinen verletzten Bruder und die Techniker fummelten immer noch an den Lichtern herum. Der Chor ging in eine Gospelversion von Jingle Bells über, eine sehr laute und eindrucksvolle Sängerin, die sicher auch aus den USA war, sang eine ergreifende Soloeinlage und dann klatschten alle Elfen und Chorsänger und schaukelten dabei hin und her. Sie stampften mit den Füsschen, an denen Glöckchen waren, und es wurde ziemlich wild und laut (aber gut choreografiert und voll gut gesungen und getanzt!). Das war dann zu viel für die Statik. Durch die Mischung aus Schwingungen, Gestampfe und Geklingle krachte die halbe Eisfläche und ein Teil der Bühne des Chors ein. Keiner verletzte sich, doch die Frau, die so schön gesungen hatte, musste sich an etwas festhalten und sie bekam dummerweise einem Ast des Weihnachtsbaumes zu fassen. Das war ein Fehler, denn das brachte den Baum ins Schwanken und einer aus dem Publikum schrie: „Der Scheissbaum fällt. Weg hier!“
Alle rannten weg, krallten sich eine kleine Elfe und/oder halfen sich gegenseitig. Die von Diskrups rannten in ihren „Management Panik Room“ und dann krachte der Baum herunter.
Später fand man heraus, dass er hoffnungslos überladen gewesen war und die Wärme von den vielen Lichtern schon die halbe Deko weggeputzt hatte. Dann kam noch das Problem der grösseren und kleineren Fehlkonstruktionen hinzu. Von den 13 Gutachten, die zu dem Thema im Rahmen der langjährigen Streitereien erstellt worden waren, kamen 12 zum Schluss, dass es die unkoordinierten Anordnungen und Sonderwünsche der von Diskurps waren, die den Baum zu Fall gebracht haben. Ein einziges Gutachten, das von einem gewissen Arti Di Vorcio erstellt worden war, vertrat ganz klar die Meinung, dass das Elfenkind und die Sängerin die alleinige Schuld trügen.
Eigentlich kommt das beste ja noch:
Die von Diskrups behaupteten sofort, das ganze sei ein Terroranschlag auf sie beide gewesen und sie liessen den Tatort (=Baum in Trümmern) von eingeflogenen, bewaffneten Securities bewachen. Tag und Nacht. Und um den Tatort liessen sie diese „Nicht betreten“-Bänder spannen.
Schon das alleine war so fantastisch, dass hunderte Zuschauer sich den Baum und die groteske Szene ansahen.
Die von Diskrups schwiegen. Doch man sieht noch heute ein kleines panikartiges Zucken in den Augen von Sebastian, wenn er kleine Elfen auf sich zukommen sieht und ich habe Cosimo nie mehr an einem Gospelkonzert gesehen.
Das ganze wurde über Monate in der Presse breitgetreten und die Schadenersatzprozesse wurden von den von Diskrups nur mit „da will man etwas zurückgeben und erntet nur Missgunst und Sensationsgier. Schade, dass das Niveau so tief ist. Doch was soll man auch anderes erwarten“ kommentiert.
So, und ich habe das alles auf meinem Telefon gespeichert und ich weiss, ich weiss es einfach, dass der Weihnachtsmann im Grunde seines Herzens ein Tyler-Fort ist.
Eine wunderbare Weihnachtszeit wünscht
Vena Tyler-Fort